Kommentar

Die Plattform darf (bald) alles

, Uhr
Berlin -

Seit Jahren vertreiben Plattformen wie GoSpring, DoktorABC oder Zava verschreibungspflichtige Medikamente im Netz, ohne dass sich Politik, Gerichte oder Behörden groß darum scheren würden. Aber das Ganze könnte nur ein Vorgeschmack gewesen sein. Denn wenn man nicht aufpasst, könnten mit der Telemedizin ganz neue Plattformmodelle entstehen, bei denen die Apotheken vor Ort umgangen werden. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.

Seit Jahren ärgern sich Apothekerinnen und Apotheker darüber, dass Hersteller auf ihren Produktwebsites den Direktkauf bei bestimmten Versendern empfehlen; mit Ach und Krach findet sich darunter noch ein Apothekenfinder. Aber das war nur der Anfang. Hinzu gekommen sind zuletzt jene Plattformen, über die man an verschreibungspflichtige Medikamente kommen kann: Man füllt nur einen Fragebogen aus und lässt sich das gewünschte Präparat direkt nach Hause schicken. Ob Potenzmittel, Cannabis oder auch Antibiotika: Dem Bezug im Netz sind scheinbar keine Grenzen gesteckt. Einzige Hürde ist die Behandlungsgebühr, die man aus eigener Tasche zahlen muss.

Bislang sind es vor allem Lifestylepräparate, mit denen statt Versorgung hier ein Geschäft gemacht wird. Doch Telemedizin ist in aller Munde, die neue Regierung hat bereits zu Protokoll gegeben, dass sie diesen Bereich massiv ausbauen will – was wohl auch zwangsweise passieren muss, um die demografischen Herausforderungen abzufedern. Um Bürokratie abzubauen und die Praxen zu entlasten, sollen außerdem Wiederholungsverordnungen ermöglicht werden: Statt einmal im Quartal sollen Patientinnen und Patienten nur noch jährlich zum Termin kommen müssen.

All das klingt sinnvoll, hat aber einen Haken: Denn Online-Sprechstunden und Online-Rezepte spielen natürlich auch den Online-Anbietern in die Karten. DocMorris & Co. bieten längst nicht nur Rezept-Abos an und haben Anbieter von Videosprechstunden übernommen. Sie versuchen auch, über eigene Akquiseagenturen ins Gespräch mit den Praxen zu kommen. Das Ziel ist klar: Möglichst viele Rezepte sollen ihren Weg zu den Versendern finden.

Allzu lange hat die Politik zugesehen, wie vermeintlich innovative Player die regulatorischen Räume genutzt haben und dubiose Angebote entwickelt haben, um in den Markt und ins Geschäft zu kommen. Nur die Apothekerkammer Nordrhein ließ nicht locker, ausreichend Rückhalt dafür gab es nicht. Stück für Stück hebelten Gerichte den vermeintlichen festen Ordnungsrahmen weiter aus: Erst war es Pick-up, das juristisch durchgeboxt wurde. Dann die Preisbindung, die vor Gericht zu Fall gebracht wurde. Und jetzt sind es Plattformen, denen in einem freien Gesundheitsmarkt anscheinend nicht bezukommen ist.

Ein Rx-Versandverbot wäre die einfachste Lösung, um ein weiteres Ausfransen zu verhindern. Das wird aber wohl nicht kommen; umso wichtiger wird es sein, eine weitere Disruption auf Kosten einer nachhaltigen Versorgungslandschaft zu verhindern. Will die Politik eine flexiblere Versorgung auch mittels neuer Technologien ermöglichen, muss sie viel stärker als bislang die Strukturen vor Ort einbinden und schützen.

Gerade wenn die Telemedizin in der Regelversorgung etabliert werden soll, braucht es viel klarere Leitplanken und eine konsequentere Überwachung. Bislang tanzen die Versender dem Rechtsstaat auf der Nase herum. Wenn es so weiter geht, gibt es irgendwann keine Regeln mehr. Wird nicht endlich konsequent gegengesteuert, gewinnt die Plattform bald immer.

Guter Journalismus ist unbezahlbar.
Jetzt bei APOTHEKE ADHOC plus anmelden, für 0 Euro.
Melden Sie sich kostenfrei an und
lesen Sie weiter.
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Neuere Artikel zum Thema
Mehr aus Ressort
Unzulässige Abschlagszahlung
AvP: Apotheker muss 36.000 Euro zahlen
Praxen für Sterillabore
Zytoservice: Das MVZ-Monopoly
OSZAR »