Einschätzung des BIÖG

SkinnyTok ist das neue Pro Ana

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Berlin -

SkinnyTok verbreitet auf TikTok ein gefährlich einseitiges Schönheitsideal und tarnt restriktives Essverhalten als gesunden Lifestyle. Besonders Jugendliche geraten durch algorithmisch verstärkte Inhalte in eine Spirale aus Selbstoptimierung und Körperunzufriedenheit. Der Trend knüpft an frühere Pro-Ana-Bewegungen an – heute jedoch subtiler, weitreichender und schwerer zu erkennen.

Der Trend „SkinnyTok“ beschreibt Inhalte auf TikTok, die extreme Schlankheit, restriktive Diäten und ein verzerrtes Körperbild verherrlichen. Unter einschlägigen Hashtags werden scheinbar motivierende Tipps zum Abnehmen geteilt, die in Wahrheit riskante Verhaltensweisen wie extremes Hungern, emotionale Kontrolle und obsessives Kalorienzählen fördern.

Besonders Jugendliche sind gefährdet, da TikToks algorithmisches System solche Inhalte schnell und wiederholt ausspielt. Wer einmal mit diesen Inhalten interagiert, erhält immer mehr davon – was eine gefährliche Dynamik in Gang setzen kann, in der Essverhalten, Selbstwert und Körperbild zunehmend negativ beeinflusst werden. Laut Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) entsteht hier „eine digitale Umgebung, in der restriktives Essverhalten schleichend zur Norm wird – ohne dass Betroffene es als problematisch erkennen“.

SkinnyTok – das neue Pro Ana

SkinnyTok ist nicht neu, sondern eine moderne Fortsetzung des extremen Schlankheitswahns, der bereits in den 1990er- und 2000er-Jahren unter den Begriffen Pro-Ana und Pro-Mia bekannt war. Die Bezeichnung Pro-Ana steht für eine ideologische Verherrlichung von Magersucht, während Pro-Mia eine vergleichbare Haltung gegenüber Bulimie beschreibt. In entsprechenden Internetforen und Blogs wurde der krankhafte Gewichtsverlust nicht als Störung, sondern als bewusster Lebensstil propagiert. Inhalte aus diesen Communities feierten Hungern, Erbrechen und vollständige Kontrolle über das Essverhalten als Zeichen von Stärke und Disziplin. Es wurden Kalorientabellen, Diätregeln, Erbrech-Tipps und gegenseitige Ermutigung zum Verzicht verbreitet.

Im Unterschied dazu tritt SkinnyTok heute subtiler auf. Das Ideal wird nicht mehr über offene Verbote vermittelt, sondern über eine Erzählung von Selbstoptimierung: Dünnsein gilt als Frage der inneren Haltung, nicht mehr als Folge radikaler Diäten. Das sogenannte „Skinny Girl Mindset“ betont Disziplin, emotionale Kontrolle und Verzicht – verpackt in Lifestyle-Sprache, die gefährliche Verhaltensweisen als gesunden Lebensstil erscheinen lässt. „Wer solche Inhalte regelmäßig konsumiert, entwickelt oft das Gefühl, dass Essen grundsätzlich kontrolliert, verdient oder verschoben werden muss“, warnt das BIÖG. „Die Sprache wirkt modern, motivierend, fast harmlos – aber die Botschaft ist identisch mit früheren Essstörungsforen: Du musst weniger sein, um richtig zu sein.“

Gesellschaftliche Wirkung und mediale Dynamik

Während frühere Schlankheitsideale über Magazine und Fernsehformate verbreitet wurden, wirkt SkinnyTok unmittelbar über Social Media – in personalisierter, algorithmisch verstärkter Form. Der Zugang erfolgt niedrigschwellig und direkt auf dem Smartphone, die Inhalte sind visuell, emotional und meist auf Selbstoptimierung ausgerichtet. Gerade deshalb entfaltet der Trend eine hohe Reichweite und Wirkmacht. „Die Plattformmechanismen verstärken das Problem massiv – die visuelle, permanente Präsenz normalisiert, was eigentlich alarmieren müsste“, so das BIÖG.

Sichtbar sei auch eine Verschiebung im gesellschaftlichen Diskurs: „Bewegungen für Körpervielfalt und Akzeptanz werden zunehmend verdrängt, das extrem schlanke Ideal rückt wieder stärker ins Zentrum.“

Politische Reaktionen

In Deutschland gibt es bislang keine spezifischen gesetzlichen Regelungen gegen Inhalte wie SkinnyTok. Der Schutz Jugendlicher erfolgt über allgemeine Jugendschutzgesetze und die Selbstverpflichtung der Plattformen.

Auf EU-Ebene hingegen wächst der politische Druck. Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Belgien und Frankreich, fordern eine Einstufung von SkinnyTok als systemisches Risiko im Sinne des Digital Services Act. Die Europäische Kommission prüft bereits in einem laufenden Verfahren, ob TikTok ausreichende Maßnahmen zum Schutz junger Nutzerinnen und Nutzer ergreift. „Solange die Plattformen nicht verpflichtet sind, solche Inhalte systematisch zu kennzeichnen und zu bremsen, bleibt der Schutz junger Menschen lückenhaft“, stellt das BIÖG fest.

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